Trembling Before G-d
TREMBLING BEFORE G-D ist ein Dokumentarfilm, der neues Terrain betritt und unsere Auffassung von Glauben, Sexualität und religiösem Fundamentalismus in Frage stellt. Der Film porträtiert in sehr persönlich erzählten Geschichten eine Gruppe von chassidischen und orthodoxen Juden, die schwul bzw. lesbisch sind und in einem tiefen Dilemma stecken: Wie läßt sich ihre große Liebe zu Gott und ihr Bekenntnis zum Judentum mit den drastischen Verboten der Bibel in Bezug auf Homosexualität vereinbaren? Im Laufe des Films begegnen wir einer Reihe höchst unterschiedlich - die einen offen, die anderen versteckt - agierender Menschen: dem ersten orthodoxen Rabbiner, der sich offen zu seiner Homosexualität bekennt; lesbischen oder schwulen Chassidim, die verheiratet sind und ihre sexuelle Ausrichtung verheimlichen; Homosexuellen, die von ihren orthodoxen Familien verstoßen wurden; einem orthodoxen, lesbischen Paar von der Highschool. Viele von ihnen haben auf tragische Weise Ablehnung erfahren, und ihr Schmerz darüber ist noch frisch, auch wenn ihnen Ironie, Humor und Elan nicht abhanden gekommen sind. Sie lieben und achten eine tausendjährige Tradition, und sie ringen mit ihr. Sie müssen sich fragen, wie sie Wahrheit und Glauben in ihrem Leben vereinen können. Über fünf Jahre dauerten die Dreharbeiten mit einer Handvoll mutiger Menschen in Brooklyn, Jerusalem, Los Angeles, London, Miami und San Francisco. TREMBLING BEFORE G-D ist also ein internationales Projekt, das weltweit von Interesse ist, da es auf die Bedeutung von religiöser Identität und Tradition in der modernen Welt zielt. Zum ersten Mal ist dieses Thema Gegenstand einer lebendigen öffentlichen Debatte in orthodoxen Kreisen, und der Film ist zugleich Zeuge und Katalysator dieses historischen Moments.
Zum thematischen Hintergrund
(...) Obgleich in den Vereinigten Staaten und anderen Ländern große Fortschritte in Bezug auf die Rechte von Schwulen und Lesben wie auch auf ihre öffentliche Wahrnehmung erzielt wurden, stehen orthodoxe und chassidische Kreise der Homosexualität, die ihnen als Sünde und Krankheit gilt, nach wie vor feindlich gegenüber. Im schlimmsten Fall erwarten orthodoxe Schwule und Lesben bei einem Coming Out innerhalb ihrer Gemeinschaft folgende Konsequenzen: familiäre Ächtung, Ausschluß aus Religionsschulen und Synagogen, erzwungene psychologische Behandlung mitsamt Bekehrungsversuchen zur Heterosexualität, arrangierte Ehen und infolgedessen ein fortwährendes Doppelleben, religiöse Richtersprüche, die zur Trennung der Kinder von ihren homosexuellen Eltern führen, kein Zugang zu Sexualerziehung und Informationen über HIV-Vorsichtsmaßnahmen, Verweigerung der Pflege und Beerdigung von Aids-Kranken, öffentliche Verurteilung durch Rabbiner und religiöse Medien, Alkoholismus, Selbstmord und selbstzerstörerisches Sexualverhalten derjenigen, die mit ihrer Situation nicht fertig werden.
Was dieses Thema angeht, herrscht in der Öffentlichkeit großes Schweigen, wohingegen es zahlreiche Beispiele für die öffentliche Verurteilung von Homosexualität in der orthodoxen Welt gibt. Die Meinungen darüber, was genau die entsprechenden Passagen in der Thora und im Talmud verurteilen, sind geteilt: homosexuelle Beziehungen generell oder die gleichgeschlechtliche Ehe, spezifische sexuelle Praktiken wie mishkav zachar (Analverkehr) oder sexuelle Beziehungen zwischen Frauen? In den vergangenen Jahren hat die orthodoxe Rabbinerschaft gegen den New Yorker schwul-lesbischen Synagogenmarsch und gegen die Erwähnung der in den Konzentrationslagern ermordeten homosexuellen Juden im Holocaust-Museum oder dem New Yorker 'Museum of Jewish Heritage' Front gemacht. Orthodoxe Rabbiner und Politiker haben sich außerdem vehement gegen die 'New York Gay and Lesbian Civil Rights Bill' ausgesprochen, eine Gesetzesvorlage zur Verbesserung der Rechte von Schwulen und Lesben aus dem Jahr 1986, sowie gegen die 'New York's Domestic Partnership Bill' von 1998, ein Gesetzesentwurf, der das partnerschaftliche Zusammenleben von Schwulen und Lesben auf eine rechtliche Basis stellen sollte. Ganze Busladungen von rechten orthodoxen Juden und Chassidim haben gegen die Anhörungen protestiert.
In Israel haben die orthodoxen Parteien ihren Einfluß in der Knesset erhöht und dort eine feindselige Stimmung gegen Bestrebungen zur rechtlichen Gleichstellung im Zusammenleben von Schwulen und Lesben geschürt, oder die Bereitstellung finanzieller Mittel für die Behandlung von Aids-Kranken lautstark und unbeugsam hintertrieben. (...) Zur gleichen Zeit sehen sich die orthodoxen Rabbiner einer wachsenden Anzahl von Gemeindemitgliedern und Religionsschülern gegenüber, die sich zur Homosexualität bekennen. Die orthodoxen Familien müssen gegebenenfalls ihretwegen ihr harsches Urteil über Homosexualität in Frage stellen. Sie alle durchleben eine existenzielle Krise, wie sie an der Wahrheit und dem göttlichen Ursprung der Thora festhalten können, ohne diejenigen zu verstoßen, die auch das Volk Israel bilden, sich aber als schwul oder lesbisch empfinden. Homosexualität markiert eine Grenze, die die meisten orthodoxen Autoritäten und Gläubigen nicht übertreten würden. Dennoch vermag der Film hoffentlich dazu beitragen, den Keim für Veränderung zu säen.
Der Regisseur über seinen Film
Manchmal suchst du einen Film aus, manchmal sucht der Film dich aus. Ich begann mit TREMBLING BEFORE G-D aus Neugier; ich hatte den Wunsch, die orthodoxe Welt zu erforschen. Ich glaube nicht, daß ich ahnte, daß dermaßen intensive und herausfordernde sechs Jahre daraus erwachsen würden und mich der Film zu spirituellem Erwachen und größerer Frömmigkeit führen könnte. Ich war vierundzwanzig Jahre alt und gerade wieder nach Brooklyn gezogen. Ich machte einen Video-Kurzfilm mit meiner 88jährigen Großmutter (Tomboychick), der auf Festivals, in Museen und im Fernsehen lief. Außerdem recherchierte und produzierte ich für Planned Parenthood «Geplante Elternschaft) Videos über die rechte christlich-fundamentalistische Bewegung. 1995 lernte ich Mark, den Sohn eines ultra-orthodoxen Rabbiners, bei der Internationalen Konferenz schwuler und lesbischer Juden' kennen. Er war wegen seiner Homosexualität aus sieben Religionsschulen rausgeflogen, in England wie in Israel. Zu dem Zeitpunkt, als ich ihn kennenlernte, hatte er sich vom orthodoxen Judentum abgewandt und arbeitete in einem Hospital mit Aids-Infizierten. Wir waren mit neun Tagen Abstand im gleichen Jahr geboren und wurden so etwas wie chavruses, Studienkameraden, in einer yeshiva, Religionsschule, ohne Wände. Wir fuhren zusammen nach Jerusalem, wohin er nie wieder hatte zurückkehren wollen, besuchten dort seine geliebte yeshiva-Welt, pilgerten auf die Berge, besuchten Rabbiner und chassidische Rebbe, filmten. In ihm wurde die verlorene Welt wieder wach, die er hinter sich hatte lassen wollen.
Die nächsten fünf Jahre verbrachte ich damit, kreuz und quer über den Globus zu reisen, immer auf der Suche nach Leuten. Ich teilte simchas (Freude) und Leid dieser bewundernswerten orthodoxen und ehemals orthodoxen Homosexuellen, die ich das Glück hatte, kennenzulernen und ein Stück zu begleiten. Ich nahm zahlreiche Mühen auf mich: Dutzende von privaten Vorführungen, unzählige Flugblätter, Zeitungsinserate, Pressemitteilungen, Mund-zu-Mund-Propaganda, E-Mail-Versand, pausenloses Kontakteknüpfen, persönlich und über das Internet. Nachdem ich mehr und mehr chassidische und orthodoxe Schwule und Lesben kennengelernt hatte - manche von ihnen waren aus Religionsschulen ausgeschlossen, andere in heterosexuelle Ehen gezwungen worden, wiederum andere von ihren Familien verstoßen und im Stich gelassen - wurde mir klar, daß mein Verantwortungsbewußtsein für diese sehr versteckt lebende Gruppe von ausschlaggebender Bedeutung sein würde. Es war klar, daß der Film nicht nur ein Mittel persönlicher Erkundung war, sondern möglicherweise zum Geburtshelfer einer Gemeinschaft avancieren konnte, die zum ersten Mal in den Medien die Stimme erhob - eine aufregende, aber auch beängstigende Aufgabe. Meine Arbeit als Regisseur von TREMBLING BEFORE G-D verschmolz oftmals mit meiner Rolle als Bewegungs-Förderer, sei es, daß ich den shaliach, den Boten, spielte oder als Organisator, Auskunftsdienst, Berater - ja, selbst als Schadehen, als Vermittler, tätig war. Ich half mit, eine Selbsthilfegruppe für orthodoxe Lesben und Schwule in Los Angeles zu gründen. Ich brachte den ersten offen schwulen orthodoxen Rabbi mit seinem späteren Partner zusammen - beide sind nun schon zwei Jahre zusammen.
Jeder tapferen Seele, die bereit war, sich filmen zu lassen, entsprachen weltweit mehr als hundert unbekannt bleibende Heiter, die das Projekt Gestalt annehmen ließen. Da ich nicht orthodox aufgewachsen bin, wenn auch jüdisch konservativ, nahm mich so mancher unter seine Fittiche, und ich lernte den Sabbat, das Thorastudium, die Gebete und das orthodoxe Judentum lieben, wofür ich ewig dankbar sein werde. (...)
Mehrere Jahre verbrachte ich innerhalb der Gemeinschaft, sammelte viele hundert Stunden an Interview- und Dokumentationsmaterial im Sinne des 'cinéma vérité' von einer großen Bandbreite von Leuten. Manche nahmen für das Interview ein unglaubliches Risiko auf sich. Eine ultra-orthodoxe, lesbische Frau aus Israel, deren Mann davon nichts wußte, zeigte sich einverstanden, als Schattenbild aufzutreten, mit veränderter Stimme. Denn nach zwanzig Jahren vergeblicher Versuche, sich zur Heterosexualität zu zwingen, war sie völlig verzweifelt. Ihre Identität preiszugeben hätte bedeutet, ihr Leben und Wohlergehen ebenso aufs Spiel zu setzen wie das ihrer vielen Kinder und Enkelkinder. Aber weil orthodoxe Rabbiner und Familien überhaupt keine positiven Informationen darüber haben, was es heißt, schwul oder lesbisch zu sein, war sie so sehr von der Notwendigkeit und Dringlichkeit des Projekts überzeugt, daß sie sich entschied, ihre Geschichte zu erzählen. (...)
Ab einem bestimmten Zeitpunkt wurde klar, daß ich die orthodoxe Rabbinerschaft direkt um ein Gespräch bitten mußte. Ich war der Ansicht, ich hätte genügend Geschichten mitbekommen, um glaubhaft homosexuelle orthodoxe Erfahrungen bezeugen zu können. Ich ging diese Idee mit großer Beklommenheit an. Das Filmen in ultra-orthodoxen Gemeinden, wo die Leute weder ins Kino gehen noch einen Fernseher besitzen, erwies sich manchmal als schwieriger als das eigentliche Thema Homosexualität. Ich mußte mir einen Fernseher und Videorecorder ausleihen und ihn heimlich zu den Rabbinern in Jerusalem schaffen, wo ich ihnen Auszüge aus dem Film zeigte und sie davon überzeugte teilzunehmen. Auch engagierte orthodoxe lesbische Frauen zögerten, die Regel der tsnius, der Bescheidenheit, zu durchbrechen und in einem öffentlichen Medium darüber zu berichten, wie sie mit ihrer Homosexualität umgehen. Von fünfzig Rabbinerfrauen, Heilpädagoginnen und Lehrerinnen, die ich ansprach, stimmte nur eine einzige zu , beim Projekt mitzumachen. (...) Weil ich frustrierenderweise so wenig Leute fand, die sich bereit erklärten, vor der Kamera zu erzählen, und weil es unmöglich war, an Feiertagen wie dem Sabbat zu filmen, mußte ich mir etwas ausdenken, um das, was nicht zu sehen war, zu zeigen. Im Winter 2000 versammelte ich Leute, die im Studio riesige Schattenbilder schufen, in denen sie chassidisches und orthodoxes Leben nachstellten: eine chassidische Mutter und ihre Familie etwa, die die Sabbat-Kerzen anzünden, bis hin zu einer echten orthodoxen Hochzeit mit Braut und Bräutgam und anderen Rollen, die von chassidisch-orthodoxen und ehemals chassidisch-orthodoxen Schwulen und Lesben und ihren Kindern gespielt wurden. Es war eine wunderbare Kombination aus Schattentheater und Buntglas. Das Verborgene wurde offenbar und die Unsichtbarkeit erhellt, als sich die Gemeinschaft hinter der Leinwand formierte, um ein Bild von sich zu schaffen.
Details
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Länge
85 min -
Land
USA, Frankreich, Israel -
Vorführungsjahr
2001 -
Herstellungsjahr
2000 -
Regie
Sandi Simcha DuBowski -
Mitwirkende
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Produktionsfirma
Simcha Leib Productions, New York -
Berlinale Sektion
Forum -
Berlinale Kategorie
Dokumentarfilm -
Teddy Award Gewinner
Best Documentary/ Essay Film
Bilder aus dem Film
Biografie Sandi Simcha DuBowski
Sandi Simcha DuBowski, geboren 1970 im New Yorker Stadtteil Brooklyn, absolvierte in Harvard ein Studium der Sozialwissenschaften. Er lebt und arbeitet als Journalist und Filmemacher in New York. Seine Artikel erscheinen u.a. in der 'New York Times', der 'Vogue', dem 'Filmmaker', dem 'Esquire', in 'The Village Voice', in 'The Jewish Week' oder 'The Jerusalem Post'. Für seinen Kurzfilm Tomboychick bekam DuBowski den Golden Globe Award des Kurzfilmfestivals von San Francisco zugesprochen. TREMBLING BEFORE G-D ist sein erster abendfüllender Dokumentarfilm.
Filmografie Sandi Simcha DuBowski
1993 Tomboychick